Es ist ja nichts Neues, dass man im Leben permanent beschissen wird.
Man hat sich inzwischen beinahe daran gewöhnt, und das ist sicherlich auch darin begründet, dass die Verarsche bereits im zarten Kindesalter beginnt.
Die altbekannte Ansage „Wenn Du nicht aufisst, gibt es morgen schlechtes Wetter!“ – wer kennt sie nicht? Und wem hat nicht relativ bald gedämmert, wieviel Schwindelei sie enthält? Wenn man nämlich brav aufaß, konnte es am nächsten Tag sehr wohl trotzdem Graupelschauer geben.
Sicher, zunächst konnte man weiterhin annehmen, die Drohung sei wahr. Denn sie wurde ja zeitgleich von tausenden Müttern und sozialpädagogisch geschulten Erwachsenen ausgesprochen. Und selbst, wenn man aus Angst oder vor lauter Appetit seinen Teller am Ende sogar sauber geleckt hatte – ein anderes der angesprochenen Kinder könnte nicht aufgegessen haben und somit für das Dreckswetter verantwortlich gewesen sein.
Ich kann es nicht beweisen, behaupte aber, die beschriebene Kausalität war und ist komplett an den Haaren herbeigezogen.
„Hör auf, aus Spaß zu schielen, sonst bleiben die Augen für immer so!“, auch so ein Ammenmärchen. Ich habe sehr oft aus Spaß geschielt, regelrechte Schielwettbewerbe spielten sich mitunter in meinem Freundeskreis ab. Und? Gar nichts! Jedenfalls bei mir. Jedenfalls fast gar nichts.
Kurzfristig beginnt man, zu grübeln: waren denn überhaupt die eigenen Augen gemeint? Christian, ein Schielwettbewerbsteilnehmer aus der 4 b, schielte meiner Erinnerung nach nämlich schon damals, auch außerhalb der Wettbewerbe, und vermutlich schielt er auch noch heute, aber das kann ganz andere Gründe gehabt haben. Schuldig fühle ich mich jedenfalls nicht.
Andererseits: der Spruch „Wenn Du zu viel gesoffen hast, bekommst Du immer diesen Silberblick!“ stammt nicht aus Kindertagen, trifft bei mir aber hundertprozentig zu. Glücklicherweise immer nur zeitlich begrenzt.
Auch ein Kinderlied gab schon damals Anlass zu leisen Zweifeln:
Wir werden immer größer, jeden Tag ein Stück.
Wir werden immer größer, das ist ein Glück.
Große bleiben gleich groß oder schrumpeln ein.
Wir werden immer größer, ganz von allein.
Es wurde behauptet, wir, die Singenden, würden immer größer werden. Annette, die Kindergärtnerin, sang immer mit, und ich erinnere mich nicht daran, dass sie während meiner Kindergartenzeit auch nur einen Zentimeter gewachsen wäre. Irgendwas war hier doch faul! In der Liedzeile „Große bleiben gleich groß…“ offenbart sich dann auch schon der Widerspruch im Kinderveräppellied: das mit dem Größerwerden endete demnach doch irgendwann.
Im Gegensatz zu uns befand sich Annette also nicht mehr im Wachstum und gehörte somit bereits der erwähnten Gruppe der Großen an. Hätte sie dann aber von Beginn an mitsingen dürfen? Spätestens damit hatte sie die Kernaussage des Textes als Unwahrheit entlarvt. Man muss so aufpassen!
Der Gedanke an das Kinderlied hat mir schließlich einen Ohrwurm verpasst.
Da ich jedoch nicht gewillt bin, Unwahrheiten vor mich hinzuträllern, habe ich den Text ein wenig modifiziert, ihn somit in die Gegenwart transportiert und der Realität sehr viel näher gebracht:
Mein Bart wird immer grauer, jeden Tag ein Haar.
Mein Bart wird immer grauer, silber sogar.
Auf dem Kopf sieht’s mau aus, im Gesicht wird’s hell.
Mein Bart wird immer grauer, das ging ja schnell.
Damit kann ich leben.